C. Villani: Zwischen Rassengesetzen und Deportation

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Titel
Zwischen Rassengesetzen und Deportation. Juden in Südtirol, im Trentino und in der Provinz Belluno 1933–1945


Autor(en)
Villani, Cinzia
Reihe
Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 15
Erschienen
Innsbruck 2003: Universitätsverlag Wagner
Anzahl Seiten
208 S., 21 Abb. und Ill
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Aram Mattioli, Historisches Seminar der Universität Luzern

Die im faschistischen Italien von Staats wegen betriebene Judenverfolgung ist als wissenschaftliches Problem lange Zeit unterschätzt und von renommierten Historikern wie Renzo De Felice und Jonathan Steinberg mit Blick auf das nationalsozialistische Deutschland sogar verharmlost worden. Erst 1988, aus Anlass des 50. Jahrestages der sogenannten Massnahmen zum Schutz der italienischen Rasse», setzte eine intensive Beschäftigung mit dem Thema ein. Im Zuge dieser Entwicklung sind nicht nur wichtige Monographien zur gesamtitalienischen Problematik (Liliana Picciotto Fargion, Klaus Voigt, Michele Sarfatti) erschienen, sondern auch eine Reihe von wichtigen Regionalstudien entstanden, zu denen auch Cinzia Villanis materialreiche Untersuchung zu den norditalienischen Provinzen Bozen, Trentino und Belluno gehört. 1996 erstmals auf Italienisch veröffentlicht, handelt es sich bei dieser deutschen Ausgabe um eine ergänzte Neufassung des ursprünglichen Buches. In die Neuausgabe sind auch die Erkenntnisse eingearbeitet, die die Autorin als Mitglied der Kommission sammelte, die im Auftrag der italienischen Regierung vom Dezember 1998 bis April 2001 die Enteignung jüdischer Vermögenswerte zwischen 1938 und 1945 untersuchte.

Im Mittelpunkt von Cinzia Villanis Studie stehen die einschneidenden Auswirkungen der faschistischen «Rassengesetze» auf das jüdische Alltagsleben, aber auch der nackte Überlebenskampf der rassisch Verfolgten nach der deutschen Besetzung des Landes im Herbst 1943. Während die faschistischen Rassengesetze zu einer «persecuzione dei diritti» führten, begann mit der deutschen Besatzung die «persecuzione delle vite» (Michele Sarfatti). Die Studie bestätigt und ergänzt viele Einsichten der neueren Forschung: Der Anstoss zur antisemitischen Politik kam zwar von der Zentralregierung in Rom, fiel aber in den stark katholisch geprägten und antijudaistisch vorbelasteten Gesellschaften der Provinzen Bozen, Trentino und Belluno auf einen Resonanzboden. Nicht nur die Behörden und die fanatischen Parteimitglieder, sondern auch einfache Leute beteiligten sich zwischen 1938 und 1943 an der antisemitischen Kampagne. Jüdische Italiener mussten auf den Zivilstandsämtern seit November 1938 eine Erklärung über die Rassenzugehörigkeit («Dichiarazione di appartenenza alla razza ebraica») abgeben, nicht wenige verloren ihre Stellen beim Staat und in anderen Berufsfeldern. Ein Grossteil der jüdischen Emigranten, die nach der Machtübertragung an Adolf Hitler in Italien Zuflucht gefunden hatten, wurden ausgewiesen und mussten das Land verlassen. Da die Flüchtlinge gezwungen waren, ihre Häuser und sonstigen Besitz schnell zu verkaufen, um die Ausreisefristen einhalten zu können, zogen nicht wenige Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft auch materiellen Nutzen aus Italiens Staatsantisemitismus. Die verbliebenen jüdischen Emigranten wurden nach dem italienischen Kriegseintritt im Juni 1940 im kalabresischen Konzentrationslager Ferramonti di Tarsia interniert. Nach der Waffenstillstandserklärung der Regierung Pietro Badoglio und der sich daran anschliessenden deutschen Besatzung kam es seit September 1943 auch in den drei norditalienischen Grenzprovinzen zu einer Welle von Razzien und Verhaftungen. Ziel war es, auch diese Gebiete «judenrein » zu machen. Jetzt wurde das Eigentum jüdischer Italiener (Häuser, Möbel, Bilder Geschirr) enteignet oder ging zu Spottpreisen in den Besitz «arischer Italiener» über, wo es auch nach dem Krieg meist verblieb. Viele der gefassten Juden und Jüdinnen wurden zunächst in den Durchgangslagern Fossoli und Risiera di San Sabba gesammelt, bevor sie in Zugwaggons in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurden. Die von den Faschisten angelegten «Judenlisten», die sensible Daten zur Zusammensetzung der Familien und ihre Adressen enthielten, erleichterten das Funktionieren der Deportationsmaschine in der Operationszone Alpenvorland, für deren Zivilverwaltung seit September 1943 Franz Hofer, der Gauleiter von Tirol, zuständig war. Für die Provinz Bozen, das mehrheitlich deutschsprachige Südtirol, in dem sich stets auch ein starker nationalsozialistischer Einfluss geltend machte, konstatiert die Autorin eine Kollaboration der Einheimischen mit den deutschen Besatzern, ja eine weitgehende Beteiligung der Bevölkerung an der Judenhatz. Anders als der nach wie vor stark verbreitete Mythos von den Italienern als «Judenrettern» zeigt Cinzia Villanis eindrückliche Regionalstudie eine Bevölkerung von Antisemiten, Denunzianten und Profiteuren, von Gleichgültigen und nur wenigen Helfern. Hinter den anrührenden Einzelfallrekonstruktionen verschwinden im Buch zuweilen die grossen Linien der Thematik. Trotzdem oder gerade deswegen entwirft die Autorin ein sehr plastisches Bild von den beiden Judenverfolgungen auf italienischem Boden. Schade, dass das Buch keine Schlussbetrachtung besitzt, in der die Ergebnisse der Studie systematisch reflektiert und in die grösseren historischen Zusammenhänge eingeordnet werden.

Zitierweise:
Aram Mattioli: Rezension zu: Cinzia Villani: Zwischen Rassengesetzen und Deportation. Juden in Südtirol, im Trentino und in der Provinz Belluno 1933–1945 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 15), Innsbruck, 2003. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 3, 2004, S. 346-347.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 3, 2004, S. 346-347.

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